11/05/2013

Dublin Marathon: Mein Marathon-Debut


Fortsetzung vom 1. Teil:

Kurz vor neun wurde die Irische Landeshymne gespielt, und dann breitete sich von weit, weit vorne her der Jubel aus – neun Uhr, die erste Welle war auf der Strecke. Ich schickte Manuel gedanklich ein dickes Toitoitoi für sein Vorhaben, die 2:50er-Marke anzugreifen.

Vor uns strömte nun aus einer Seitenstrasse die gesamte zweite Welle in den Startblock, unglaublich viele Leute - 14‘500 Läufer waren gemeldet! Inzwischen kamen auch einige Sonnenstrahlen durch, doch der bissige Wind trieb immer wieder bedrohlich aussehende Wolkenfronten heran. Endlich war es so weit, auch die fröstelnde dritte Welle durfte vorrücken. Bereits flogen die ersten Kleidungsstücke und Kehrichtsäcke davon, doch ich behielt meinen Pullover an, bis wir wirklich vor dem Startbogen bereit standen.

Die spezielle Gänsehaut-Stimmung wie beim Barcelona Halbmarathon erlebt, wollte bei mir trotz LaOlas so gar nicht aufkommen, ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, ob überhaupt Musik gespielt wurde. Mir war inzwischen so kalt geworden, dass ich einfach nur noch loslaufen wollte. 9:19, noch eine Minute, ein kurzer Gedanke an Manuel, welcher inzwischen bereits die ersten 5k in den Beinen haben sollte.

Der Speaker schien keine Sicht auf den Countdown zu haben, er plauderte fröhlich vor sich hin, und mitten im Satz knallte urplötzlich der Startschuss - also los! Doch was soll denn das? Da sind ja Walkerinnen vor mir?? Ganze Rudel, immer schön Seite an Seite... Der Dublin-Marathon ermutigt (stocklose) Walker offiziell zur Teilnahme, aber weshalb man sich mit null zeitlichen Ambitionen zuvorderst im Startblock einreihen muss, ist mir ein Rätsel! Nach wenigen hundert Metern Slalomlauf hatte ich dann aber freie Bahn, und von da an nie mehr ein Problem mit einer zu vollen Strecke. Bitte an die Veranstalter: ein separater Walkerblock wäre doch was, denn mit der Selbsteinschätzung scheint es da noch etwas zu hapern.

Die Strecke führte zuerst durch die Innenstadt zum Trinity-College. Ich hatte Mühe meine Geschwindigkeit einzuschätzen, und meine Forerunner 305 spielte irgendwie verrückt und zeigte eine wild schwankende Pace an. Ich versuchte auf mein Gefühl zu hören, und begann das Rennen und die Anfeuerungsrufe der vielen Zuschauer zu geniessen. An meinem Gefühl muss ich aber wohl noch etwas arbeiten, denn beim ersten Meilen-Marker war ich mit 9:00 über eine Minute zu schnell - no good! Also Tempo zurücknehmen.

Der Kurs führte nun über den River Liffey nordwärts. Meile 2: immer noch viel zu schnell. Ausserdem zeigte die Garmin 3.7 km an – wo kommt dieser halbe Zusatzkilometer bloss her? Inzwischen drückte die Blase immer stärker, und ich musste einsehen, dass der Marathon wohl nicht ohne Boxenstop ablaufen würde. Glücklicherweise kam bei Meile 3 der erste Verpflegungsposten, inklusive einer langen Reihe Toiletten. Davor aber leider noch längere Läufer-Schlangen... Also eine Wasserflasche geschnappt und weiter, natürlich immer noch zu schnell - no good at all! Die kleine 2dl Flasche lag aber gut in der Hand und hatte einen Klappdeckel, also hab ich sie einfach mal mitgetragen.

Alle 5 Kilometer gab es eine Kilometer-Tafel, und als ich die erste passierte, drücke ich die Lap-Taste der Garmin. Von da an stimmte die angezeigte Pace, und ich sammelte auch keine virtuellen Zusatzmeter mehr ein - schon seltsam... Jetzt konnte ich auch meine Geschwindigkeit korrigieren, aber die ersten 5 km waren wohl deutlich zu schnell.

Bei Meile 4 ging es hinein in den Phoenix Park, mit acht Quadratkilometern einer der weltweit grössten Stadtparks. Vorbei am Zoo ging es bis Meile 6 eine lange, breite und schnurgerade Hauptstrasse hinauf. Sonne, immer wieder Zuschauer, viele spannende Mitläufer, die Kilometer gingen schnell und locker vorbei. Die Bäume links und rechts der Strecke wurden von männlichen Läufern aufs gründlichste „bewässert“, aber dazu war ich dann doch nicht bereit. Nach Meile 6 kam eine Linkskurve, die nächste Trinkstation und natürlich wieder Schlangen vor den Toiletten.

Bisher waren wir immer leicht aufwärts gelaufen, doch nun führte der Kurs zum ersten Mal etwas bergab, die 10km-Matte passierte ich nach 62 Minuten. Die Stimmung mit der Morgensonne in den Bäumen war wunderschön, und auf einmal erschienen neben der Strecke drei grosse Hirsche wie aus dem nichts. Sie rannten in hohem Tempo direkt auf die sich lückenlos dahinziehende Läuferschlange zu – das kollektive Aufatmen war förmlich hörbar, als die Tiere in letzter Sekunde rechtsumkehrt machten und in ein Waldstück flüchteten. Bei welchem Stadtmarathon kann man sonst so etwas erleben?

Bei Meile 8 ging es aus dem Park hinaus und wieder über den River Liffey. Nun folgt die erste richtige Steigung, relativ kurz, aber steil. Tempo leicht zurücknehmen, alles gut (ausser der Blase...). Meile 9, nächster Verpflegungsposten, neue Wasserflasche mitnehmen, erstes Gel einwerfen, und – hey, da wird eben ein WC frei, keine Schlange! Wasserflasche zwischen die Zähne geklemmt und rein. Keine halbe Minute später war ich schon wieder auf der Strecke. Scheinbar habe ich mir aber mit diesem Stop meinen Rhythmus gebrochen, denn plötzlich quälte mich Seitenstechen, welches mich für den Rest der Strecke nie mehr ganz verlassen sollte... Zu allem Überfluss dreht die Strecke bei Meile 10 auf eine lange Gerade in Richtung Südwesten, genau gegen den doch recht starken Wind. Die nächsten 4 Kilometer wurden hart, und ich musste schon etwas drücken um meine Pace zu halten – vermutlich ein Fehler!

Die Halbmarathonmarke passierte ich bei 2:13, also noch immer leicht vor Marschtabelle. Endlich drehte die Strecke wieder, der Wind kam nun seitlich. Und dann ging auf einmal gar nichts mehr - Kilometer 25  und Tanks leer? Mir wurde klar, dass da noch einige harte Kilometer auf mich zukommen... Die Pace fiel unter die Soll-Marke von 6:22, etwas später sogar unter 6:30. Ein weiteres Gel sollte Energie bringen, doch ich musste das klebrige süsse Zeug richtig hinunterwürgen. Ich versuchte mich abzulenken, all die Schilder der wirklich grossartigen Zuschauer zu lesen, über die vielen, vielen selbstgebastelte „Verpflegungsposten“ mit Jelly-Beans und Gummibärchen zu staunen. Mein Magen machte allerdings Protest-Knoten beim Gedanken an Süssigkeiten. Einzig positiver Gedanke war, dass Manuel jetzt hoffentlich langsam im Ziel sein sollte!

Fertig! Manuel's Startnummer, Finisher-Shirt und Medaille!

Die Meilen schleppen sich dahin, und nach Meile 21 würde noch ein weiterer Aufstieg warten, der „Heartbreak-Hill“ des Dublin Maratons. Einerseits fürchtete ich den Anstieg, andererseits sehnte ich ihn herbei, denn ist der Hill einmal geschafft, verläuft die Strecke nur noch eben oder sogar bergab bis zum Ziel. Knapp vor Meile 20 war es so weit, die 4:30er Pacemaker mit ihrem Rudel überrollten mich von hinten, schade, ich hatte echt gehofft, die Jungs erst im Ziel wiederzusehen! Ein kurzer Versuch, doch noch dran zu bleiben scheiterte, und ich musste die Truppe langsam davonziehen lassen. Am Heartbreak-Hill verlor ich sie dann aus den Augen.

Mitten im Heartbreak-Hill-Anstieg hatte ein Hauptsponsor eine grosse Wand („The Wall“ ist das Englische Gegenstück zum "Hammermann") errichtet, auf welche Supporter Aufmunterungs-Nachrichten für Ihre Lieben drucken lassen konnten. Kilometer 34 und ein Anstieg, mein Kopf stellte auf Autopilot und unter dem Torbogen der „Wall“ hörten meine Füsse einfach wie von selbst auf zu rennen - schliesslich taten das rundherum alle anderen auch. Nur zwei, drei Schritte war ich gegangen, als der Kopf sich wieder einklinkte. Kommt gar nicht in Frage, sofort weiterlaufen!

Vielleicht waren es auch die Anfeuerungsrufe der Zuschauer, jedenfalls ging es ab da wieder aufwärts. Die Pace wurde zwar nicht schneller, aber dem Kopf ging es besser. Dass meine Schneckenpace doch noch dazu ausreichte, um viele Läufer einzusammeln, war in dem Moment irgendwie auch ein Aufsteller. Die ersten Meilen nach der Steigung führten zwar reichlich unattraktiv einer Hauptstrasse entlang, aber irgendwann waren sie auch vorbei, und das grosse Stadion zeigte an, dass sich der Kurs langsam aber sicher der Innenstadt näherte. Nur noch ein einziges mal die Frauenlauf-Distanz, war mein Gedanke. Auf einmal fielen dicke Regentropfen, erstmals im Lauf, nach fast 4 Stunden. Der Spuk war aber schnell vorbei, Schwein gehabt mit meinem Pink-Ribbon-Baumwoll-Shirt...

Manuel kanns inzwischen besser mit den Finisher-Fotos! ;)

Die Zuschauer standen dichter und dichter, ich wurde mit Namen angefeuert, und mir wurde andauernd versichert, dass ich grossartig aussähe (aber sicher doch), leider war ich allerdings noch nicht einmal mehr dazu fähig, dankbar zu lächeln. Trotzdem hat es natürlich sehr geholfen, ein dickes Kompliment an die tollen Dubliner Zuschauer! Einmal bildete das Publikum eine Gasse die so eng war, dass keine zwei Läufer nebeneinander Platz hatten – Wahnsinn! Die letzten zwei Meilen waren aber trotzdem richtig hart, die Knie schmerzten, die Oberschenkel krampften, der gesamte Bauch- und Rippenraum fühlte sich an wie im Schraubstock vom ewigen Seitenstechen. Bei Meile 25 war man eigentlich schon beinahe im Ziel, musste aber noch eine 1.2-Meilen-Runde um das gesamte Trinity-College anhängen. Das sind nur noch vier 400m-Intervalle, sagte ich mir, also los! Jaja, die Rechenleistung lässt ab km 40 wohl etwas nach... ;)

Endlich, endlich war die 200 Yard-Tafel in Sicht. Fantastisch wie Schmerzen auf einmal vergessen sein können. Rechts in der Menschenmenge hörte ich Manuel rufen, dann sah ich ihn auch winken. Richtig spurten liess ich bewusst sein, denn eines hatte ich mir ganz fest vorgenommen: ich will das Finish geniessen und den Marathon lachend beenden!

Und genau das habe ich dann auch getan! Das sieht auch auf dem Zielfoto ziemlich gut, darüber freue ich mich ganz besonders. Ich konnte auch nach der Ziellinie gar nicht mehr aufhören zu lachen, höchstens ein ganz kleines Freudentränchen gab es. Der nette Helfer strahlte zurück und hängte mir *meine* Marathonmedaille um!

*Meine* Marathonmedaille!

Dann waren auf einen Schlag die Schmerzen in den Beinen wieder da und ich konnte kaum mehr laufen. Ganz, ganz langsam holte ich mir meinen Goodie-Bag und mein Finisher-Shirt ab. Lange Ärmel – super! Aber ein Männershirt, die Grösse S passt Manuel ziemlich gut, ist mir aber ein wenig zu gross. Macht nichts, anziehen werde ich es trotzdem!

Ebenso langsam quälte ich mich anschliessend um den gesamten Merrion Square herum, vorbei an der Gepäckausgabe, zum Denon Zelt. Dieses wurde bereits abgebrochen, doch für ein Bild vor der Denon-Fahne reichte es noch. Der mit Manuel vereinbarte Treffpunkt lag irgendwie plötzlich innerhalb der abgesperrten Zone, und da durfte Manuel, der natürlich längst geduscht war, nicht mehr hinein. Trotzdem entdeckte ich ihn schnell in der Menschenmenge, und war überglücklich, dass wir es beide ganz in Ziel geschafft haben. Ich fiel ihm um den Hals, und sagte ein von Herzen gefühltes „NIE MEHR!“

Die Uhr stoppte schlussendlich bei 4:35:02 - angesichts des suboptimalen Trainings, des Windes, der doch gut über 100 positiven Höhenmeter und des klassischen Anfängerfehlers mit den viel zu schnellen ersten 5k, bin ich damit zufrieden. Ausserdem bleibt so noch mehr als genug Luft nach oben... Das „nie mehr“ wankt also bereits. ;)

Manuel hat mich dann in eine Jacke gepackt und zum Hotel geschleppt, meine Beine machten einfach nicht mehr mit. Er war hingegen schon wieder quickfidel, geduscht, gedehnt und warm eingepackt. Allerdings hatte auch ihm der Wind auf der langen Gegenwind-Geraden recht zugesetzt, und als ihn Magenkrämpfe zu einem längeren Notstop im Toitoi zwangen, ging er die restlichen Meilen locker an. Seine Zielzeit konnte er deshalb zwar nicht erreichen, er blieb mit 2:59:03 aber noch deutlich unter drei Stunden.

Oh ja, dieser Wein ging offensichtlich schnell ins Blut...

Den Dublin-Marathon haben wir als tollen Sportanlass erlebt, die Organisation war tiptop, die Zuschauer fantastisch, es gab genügend Versorgungsposten (Wasser in kleinen Flaschen zum Mitnehmen ist super), die Grösse war ideal (14‘500 Gemeldete, 12‘500 Finisher, nicht zu gross und nicht zu klein), und es gab auch noch nach 4:35 noch T-Shirts in Grösse S. :) Ausserdem bietet Dublin auch als Stadt so einiges. Eine uneingeschränkte Empfehlung an alle Marathonläufer, die diesen Lauf ins Auge fassen – anmelden!

2 Kommentare:

  1. Hach, was für ein schöner Bericht. Ich habe richtig mitgefoebert gerade zum Schluss ;-) Irgendwie macht es mir Mut, aber irgendwie auch Angst. Du warst so gut darauf vorbereitet und trotzdem kam der Mann mit dem Hammer. Aber ein erster Marathon wird wohl so oder so weh tun, egal wie man trainiert hat. Und vielleicht ist auch gerade das, was den Reiz ausmacht und warum man dann so stolz sein kann das geschafft zu haben. ich für mein Teil glaube, dass man erst weiß was ein Marathon ist, wenn man ihn selbst auch mal gelaufen ist. Irgendwann werde ich es auch wissen ;-)

    Aber ein riesen Respekt für die super Zeit. Ich finde deine Zeit gerade für das erste Mal einfach super. Meine Zielzeit für meinen geplanten Marathon im Oktober, den ich wegen dem Haus ja leider nicht gelaufen bin, war übrigens bei 4:50h. Also du kannst auf jeden Fall auf deine Zeit aufbauen, die ist spitze für den ersten :-)

    Würdest du jetzt so im Nachhinein betrachtet sagen, dass die Long Jogs die beste Vorbereitung für den Marathon ist? Wenn ja, lieber nach der Laufzeit oder nach den Kilometern gehen? Und wie wichtig sind beim Marathontraining deiner Meinung nach Intervalltraininseinheiten?

    Wie du siehst: ich habe Fragen über Fragen ;-)

    Liebe Grüße und gute Erholung
    Belli

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Belli, vielen Dank fürs Kompliment und fürs mitfiebern :) Ich würde es zwar nicht wagen, mich nach einem einzigen Marathon schon als Experte zu betrachten, teile aber sehr gerne meine (noch nicht allzu grossen) Erfahrungen.

      Ich denke nicht, dass man beim ersten Marathon zwingend dem Mann mit dem Hammer begegnen muss, aber weh tut‘s wohl immer... Ich hatte etwas Pech mit dem Wind, und dann vor allem den dummen Anfängerfehler mit den zu schnellen ersten 5km gemacht.

      Gefühlsmässig waren die Longjogs sehr wichtig, ich habe die im Steffny-Plan vorgesehenen Distanzen (bis 32 km) fast ausnahmslos durchgezogen. Der Plan hat mir sowieso recht gut gefallen, da die Trainingseinheiten unter der Woche nicht so lang sind (im Gegensatz z.B. zu Marquardt), so dass sie auch mal in eine Mittagspause passten. Ausserdem ist das Buch („Marathontraining für Frauen“) eben speziell auf Frauen ausgelegt, mit Plänen bis 5h40. Intervalle und schnelle Trainingseinheiten habe ich in den letzten 10 Wochen vor dem Marathon wegen meinem zickenden Bein fast komplett gestrichen bzw. langsamer gelaufen – vielleicht haben diese ja gefehlt...

      Ich drücke dir die Daumen, dass es mit deinem nächsten Anlauf für den Marathon klappt und du das Gefühl beim Zieleinlauf selbst erleben kannst. Das mit dem Haus war ja allerdings ein wirklich toller Grund, das Marathon-Debut zu verschieben – es hätte wirklich schlechtere Gründe geben können ;) Zuerst mal aber viel Erfolg für den Silvesterlauf!

      Löschen